Simulation oder Messung – eine Einführung in die Suche nach der ganzen Wahrheit

„Von Berechnungen sind nur jene überzeugt, die diese durchgeführt haben. An Messungen zweifelt niemand – außer jene, die sie gemacht haben“

Ingenieure entwickeln zum Teil einen gewissen Galgenhumor zur fundamentalen Frage, ob denn nun eine Berechnung (Simulation) oder Messung die zuverlässigere Methode darstellt. Noch weitere, auf den Punkt gebrachte, Zitate dazu:

  • „Wer misst, misst Mist“
  • „CFD … Colors For Directors“, anstatt „Computational Fluid Dynamics“ => ironisch und abwertend für vermeintlich nichtssagende, bunte Ergebnisbilder der numerischen Strömungsberechnung (CFD) über die man trotzdem stundenlang in Besprechungen debattieren kann.

Um in der Forschung und Entwicklung an einem Projekt voranzukommen muss man wissen wo man aktuell steht. Genauso wie man am Ende einer Entwicklung den Nachweis benötigt, dass alle Forderungen aus Lastenheft und Normen eingehalten werden. Ingenieure und Wissenschaftler bedienen sich dabei gleichermaßen zweier sehr gegensätzlicher Methoden: Der Berechnung bzw. Simulation auf der einen Seite, sowie der Messung auf der anderen Seite.

Die Thematik beginnt unbewusst bereits im Alltag …

Der morgendliche Blick auf das Außenthermometer verrät einem die aktuelle Temperatur. Das ist wohl eine jener klassischen Messaufgaben, die auch Technikfremden vertraut ist. Ohne Kenntnis einer Wetterprognose, ausschließlich auf Basis dieser Temperatur sowie weiterer Parameter wie Bewölkung, Niederschlag und Jahreszeit auf die zu wählende Kleidung zu schließen, ist dann bereits eine Art Simulation. Durch ihre Erfahrung werden sie sich bei gleicher Messwertanzeige an einem warmen Morgen im März wärmer ankleiden als an einem kühlen Morgen im Juni – vergleichbarer Methodik für Prognosen auf Basis eines lernenden Systems bedient man sich auch in der Technik. Diese werden als neuronale Netze bezeichnet. Ein deutlich breiter verwendeter Ansatz in der Berechnung ist jedoch die mathematische Modellierung, also Nachbildung, von Vorgängen in der Natur.
Zurück zur Temperaturmessung. Beim Wettbewerb um das außergewöhnlichste Temperaturextrem an diesem Morgen in der Kaffeeküche ihres Büros treffen  in der Regel unterschiedlichste Ergebnisse von den Kollegen aufeinander. Kann das sein? Wesentliche Parameter, wie zum Beispiel der Messzeitpunkt – „morgens“ ist ein dehnbarer Begriff –, die Höhenlage des Messobjekts und die Ausrichtung des Temperaturfühlers – in der Morgensonne oder im Schatten –, Kühlung durch verdunstenden Morgentau oder Wärmeabgabe naher Wände oder Fenster, können das Messergebnis erheblich beeinflussen. Und da hat man noch gar nicht berücksichtigt, ob ein einfaches Haushaltsthermometer oder ein frisch kalibriertes Präzisionsthermometer zur Messung eingesetzt wurde. Ist die Berechnung also zuverlässiger? Nun, würden sie sagen, dass Wetterprognosen als Paradebeispiel einer Simulation immer richtig liegen?

… und setzt sich in der Technik fort.

Ein plakatives Beispiel aus der Technik ist die Entwicklung eines großen Auslegerkrans. Die Komplexität für Messung und Berechnung ist definitiv gegeben, stellt jedoch bei richtiger Anwendung für keine der beiden Methoden eine unlösbare Aufgabe dar. Ein Versagen des Krans bedeutet aber fatale Folgen für Mensch und Fracht, weswegen der Stand der Technik den Einsatz beider Entwicklungsmethoden vorsieht. Die Berechnung als Werkzeug der richtigen Dimensionierung hinsichtlich Festigkeit und Standsicherheit, sowie nach Fertigstellung ein gezielter Überlastungsversuch zum Nachweis der korrekten Auslegung. Letzterer soll nicht nur die vorangegangene Berechnung bestätigen, sondern auch Folgen eventueller Fertigungs- und Montagefehler unter abgesicherten Bedingungen aufzeigen. Im Frühjahr 2020 erlangte ein großer Schiffskran mediale Präsenz, welcher beim geplanten Belastungstest in Rostock zerstört wurde. Leider war bereits unter diesen abgesicherten Bedingungen ein Personenschaden nicht zu vermeiden – nicht auszudenken, wenn der Kran im Zuge seiner regulären Einsatztätigkeit eine so schwere Last abgeworfen hätte: NDR. Man kann in jedem Fall davon ausgehen, dass der Kranhersteller über ausgesprochen viel Know-How und Erfahrung in der Auslegung von Kranen besitzt. Ebenso kann man aber davon ausgehen, dass dieser den Unfallablauf detailliert untersucht und seine Berechnungsmethodik auch für solche Extremereignisse erweitert.
Erinnern sie sich an den Elchtest der A-Klasse? 1997 propagierte der namhafte Hersteller dieses Autos, dass er ein vorwiegend virtuell entwickeltes Fahrzeug auf den Markt bringt. Ein vergleichsweise einfaches, für zentraleuropäische Automobilentwickler damals noch unübliches Ausweichmanöver schwedischer Journalisten warf die A-Klasse – und damit einen Großteil der Reputation von Simulation und Berechnung – schlicht und einfach um.
Die Schlussfolgerung aus solchen Ereignissen: Versuche mit Messungen sind wichtig – einerseits zur Absicherung der Auslegung und Simulation, anderseits zur Erweiterung und Verbesserung der Berechnungsmodelle.
Simulation und Messung – beides hat seinen wichtigen Stellenwert in der Entwicklung und beide Methoden müssen eng vernetzt miteinander eingesetzt werden. Noch wichtiger ist es, dass vor allem Ingenieure die Vorteile beider Methoden geschickt kombinieren und die Nachteile kritisch hinterfragen.

Schließen wir den Kreis …

Schließen wir den Kreis und kehren zurück zum Blick auf das Thermometer am Morgen. Man sollte nun keinesfalls in eine Sinnkrise über unzureichende Genauigkeiten von Messung und Prognose verfallen – wichtig sind die Schlussfolgerungen. Und wenn man sich dabei einmal unsicher ist – anders gesagt: kritisch hinterfragt –, müssen eben Jacke und Regenschirm auf dem Weg zur Arbeit Platz finden …

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Dipl.-Ing. Dr.techn.
Dieter Messner

Zivilingenieur für Maschinenbau
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