Quo vadis Mobilität – was wird in 20 Jahren unsere Mobilität antreiben? (Teil 1 von vorerst 2 …)

Als ich als Teil eines Forscherteams vor rund 15 Jahren intensiv an der Verwendung des damals exotischen Kraftstoffs Wasserstoff an der Technischen Universität in Graz arbeitete, ahnte – mich eingeschlossen – wohl niemand meiner Kollegen wie zeitnah dieses Thema an Aktualität gewinnen wird.

Ebenso wenig hätte ich vor einigen Jahren vermutet, als ich meine Tätigkeit als Entwicklungsingenieur in der Automobilindustrie mit dem Weg in die Selbständigkeit tauschte, wie rasch zum damaligen Zeitpunkt noch langsam anlaufende Änderungen heute – im Jahr 2021 – diese Branche einholen.

Die gesamte Energiebereitstellung der westlichen Industriestaaten und damit einer der wichtigsten Bausteine unseres heutigen Wohlstandes befindet sich im Umbruch!

Angesichts der notwendigen Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels müssen daher die vielen möglichen Lösungen nicht nur klimaverträglich, sondern auch volkswirtschaftlich und in Konkurrenz am Weltmarkt zu stemmen sein. Die Dynamik unseres Kenntnisstands darüber ist nahezu atemberaubend. Plakatives Beispiel ist eine Studie des deutschen Umweltbundesamts aus dem Jahr 2016 mit Fokus auf Kosten von Energieoptionen für den Verkehr im Jahr 2050. Diese Studie wurde 2019 mit aktuellen Zahlen überarbeitet, was sogar zu veränderten Schlussfolgerungen führte [1].
Ein alleiniges Bewerten der Zukunft des Verkehrssektors ohne Blick auf eine gesamthafte klimaverträgliche Energie- und Rohstoffbereitstellung unserer Industrieländer wäre kurzsichtig und vor allem unvollständig! Für die nachfolgende Betrachtung setzen wir voraus, dass im Jahr 2040 die Energie aus unserem Stromnetz vollständig klimaneutral produziert wird – dieser Anspruch in Verbindung mit einem gewohnt stabilen Stromnetz ist ausgesprochen hoch, aber nicht unschaffbar. Dabei ist auch zu hoffen, dass wir in 20 Jahren mit klimaneutralen Stromerzeugern nicht nur den durchschnittlichen Bedarf an einem durchschnittlichen Tag decken, sondern dass auch an bewölkten, windarmen Tagen auf den Import von ebenso „klimaneutralem“ Atomstrom verzichtet werden kann – im Gegenzug kann man in diesem Szenario an sehr vielen günstigen Tagen im Jahr von einem erheblichen Überangebot an Stromerzeugung ausgehen. Dass in einer gesamthaften Betrachtung individuelle Mobilität ein Bestandteil der Energieversorgung und kein mitzuschleppender Ballast sein muss, erörtern Sterner und Stadler in ihrem Buch Energiespeicher [2] sehr anschaulich.
Bei der Bewertung der Energieoptionen für den Verkehr muss in jedem Fall eine umfassende von der Quelle bis zum Rad „from-well-to-wheel“ Betrachtung zugrunde gelegt werden. Beispiele dafür liefern neben dem deutschen Bundesumweltamt [1] auch andere wissenschaftliche Veröffentlichungen wie Schutting et al, TU Graz 2016 [3] oder der Gastvortrag von Prof. Garbe, Hochschule Coburg, 2021 beim österr. Verein für Kraftfahrzeugtechnik über Klimakraftstoffe [4]. Nicht weniger gilt es neben wirtschaftlichen Aspekten und Umweltaspekten auch ethische Betrachtungen für die gesamte Herstellungskette und Betriebszeit von Verkehrsmitteln zu berücksichtigen.

Gut, aber was wird uns schlussendlich in 20 Jahren antreiben?

Bei der individuellen Mobilität im Straßenverkehr zeichnet sich bei der eigentlichen Antriebseinheit ein eindeutiger Trend ab: Der Elektromotor ist bereits heute im Vormarsch, allein oder in Kombination mit Verbrennungsmotor.
Elektromotoren sind sehr effizient – sie wandeln die zur Verfügung gestellte Energie 3-4x wirkungsvoller um als Verbrennungsmotoren im PKW und sind im Vergleich zu Großmotoren in Schiffen zumindest immer noch rund doppelt so wirksam. Elektromotoren eignen sich exzellent zum Rekuperieren – also dem Rückgewinnen von Energie beim Bremsen und Bergabfahren. Diese Möglichkeit kann von Verbrennungsmotoren überhaupt nicht genutzt werden. Elektromotoren können direkt an den Abtrieb gekoppelt vom Stand weg zügig beschleunigen – Verbrennungsmotoren brauchen dazu ein etwas komplexeres Getriebe. Elektromotoren für sich sind im Betrieb praktisch emissionsfrei – Verbrennungsmotoren brauchen eine wirksame Abgasnachbehandlung. Geringer Wartungsbedarf, relativ günstige Herstellung, kompakte Bauform, relativ leicht, mögliche Anordnung direkt an den Achsen, sowie bei Bedarf Kombination mehrerer Elektromotoren für Allrad- oder gar radselektive Antriebe sind weitere Pluspunkte des Elektromotors.

Der Elektromotor bietet auch fahrdynamische Vorteile – die präzise agierende Leistungselektronik und der kurze, steife Antriebsstrang erlauben atemberaubend feine Regeleingriffe auf Traktions- und Stabilitätskontrolle wie man es bei Verbrennungsmotoren bestenfalls mit hochgezüchteten Rennfahrzeugen bewerkstelligen kann. Nochmals beeindruckender wird das fahrdynamische Erlebnis, wenn mehrere Elektromotoren in einem Fahrzeug Allradantrieb und/oder verlustarmes Torque-Vectoring ermöglichen. Zusammengefasst besitzt der Elektromotor als Antriebseinheit für sich kaum einen Nachteil, dem man nicht mit überschaubarem technischem Aufwand begegnen kann.

Und doch bleibt im bisher geschriebenen eine wesentliche Frage offen – wie stellt man im Fahrzeug Strom zur Verfügung?

Die essentielle Frage zur Mobilität in 20 Jahren ist also weniger welche Art von Motor, sondern vielmehr welche Energieträger die Motoren in unseren Fahrzeugen antreiben werden. Hierbei stehen charakteristische Vor- und Nachteile gegenüber und zumindest aus Sicht eines Technikers muss man davor warnen, einzelne Technologien vorzeitig durch Verbote auszuschließen.

Lesen sie mehr dazu im nächsten Teil

Interessante Literatur dazu:
[1] … „Sensitivitäten zur Bewertung der Kosten verschiedener Energieversorgungsoptionen des Verkehrs bis zum Jahr 2050“, Abschlussbericht, deutsches Umweltbundesamt 2019
[2] … „Energiespeicher“, M. Sterner, I. Stadler, 2. Auflage Springer Verlag 2017
[3] … “Well-to-Wheel A Comparison of Propulsion Systems”, Eberhard Schutting, Josef Ratzinger, Helmut Eichlseder, Technische Universität Graz, Eco-Mobility Konferenz Wien 10/2016
[4] … „Klimakraftstoffe“, Prof. Garbe, Volkswagen AG & Hochschule Coburg, Gastvortrag beim österr. Verein für Kraftfahrzeugtechnik 02/2021
[5] … „Bestand an Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern nach Fahrzeugalter“, FZ15, Stand 1. Januar 2020, deutsches Kraftfahrbundesamt

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Dipl.-Ing. Dr.techn.
Dieter Messner

Zivilingenieur für Maschinenbau
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